Ukraine – Berlin – Wendelstein – Ein Diplomat zu Gast

Er kam zu spät und er parkte vor dem Schuleingang (!) - dennoch hat Dr. Vasyl Khymynets, der Botschaftsrat der Ukraine in Deutschland, die Schüler mit seinem Besuch beeindruckt. 

Der hochrangige Diplomat, dessen Aufgabe es ist, sein Heimatland in Deutschland zu repräsentieren, kam direkt aus Berlin angereist. Bevor er die dramatischen Entwicklungen im Osten der Ukraine deutlich machte, stellte Dr. Khymynets Facetten seiner Heimat vor, etwa die wichtigsten Städte (Kiew ist die Hauptstadt), unterschiedliche Regionen und Landschaften (Kaparten-Gebirge und weite Agrarflächen) sowie prägende Persönlichkeiten (z.B. die Klitschko-Brüder) und Errungenschaften der Ukraine (z.B. das größte Flugzeug der Welt, die Antonow 225 „Mrija“). 

Natürlich waren die Neuntklässler besonders gespannt, was der Diplomat zur aktuellen Lage in der Ukraine berichten würde. Aus dem Sozialkundeunterricht und aus den täglichen Berichten in den Medien wussten sie schon viel zu den Ursachen und Entwicklungen des kriegerischen Konflikts rund zwei Flugstunden von hier (wer mehr zum Hintergrund des Konflikts erfahren will, findet die Informationen unten *). 

Dr. Khymynets machte deutlich, dass sich die Mehrheit der Menschen in seiner Heimat Richtung Westen orientiert und die Zukunft in der EU sieht. Russland führe derzeit einen „Hybridkrieg“ gegen die Ukraine: Soldaten ohne Armeeabzeichen, gezielte Propaganda und als Hilfskonvois getarnte Waffenlieferungen gehörten zu dieser modernen Form der Kriegsführung.

Anhand verschiedener Beispiele hob der Diplomat hervor, wie das russische Fernsehen aus Sicht der Ukraine Kriegspropaganda verbreite. „Absurd“ und „voller Lügen“ seien Berichte, in denen ukrainischen Soldaten zum Beispiel brutale Gewalttaten oder der Abschuss des Passagierflugzeuges MH17 vorgeworfen würden. Bei der Nachbesprechung des Vortrages zeigten sich die Neuntklässler zugleich verständnisvoll und kritisch: „Klar“ betone man als Betroffener und Vertreter eines Landes die negativen Seiten des Gegners – in diesem Fall die Propaganda Russlands –, dennoch müsste man die geäußerten Vorwürfe gegenüber Russland auch möglichst objektiv prüfen, lautete die einhellige Meinung. (Genau das tun wir als Nächstes im Sozialkundeunterricht ...) 

In der abschließenden Diskussionsrunde stellten einige Neuntklässler durchdachte und durchaus kritische Fragen an den Diplomaten. Dr. Khymynets erklärte in seinen Antworten ausführlich, dass er Waffenlieferungen der USA als nötig erachte, damit sich sein Heimatland angemessen gegen die russische Militärübermacht verteidigen könne. Er machte deutlich, dass die Angst vor einer Ausweitung des Krieges – womöglich sogar vor einem Dritten Weltkrieg – in den vergangenen Wochen in diplomatischen Kreisen schon spürbar gewesen sei. Jedoch hoffe er auch auf die Deeskalation des Konflikts über Verhandlungen. Besonderes Vertrauen setze er dabei in die Bundeskanzlerin Merkel und weitere EU-Politiker.

Nachdem die Fragerunde mit dem Schlussgong beendet wurde, nahm sich Herr Khymynets noch Zeit und beantwortete geduldig weiterführende Fragen einiger Schüler. Fast wäre er zu spät gekommen - zum nächsten Programmpunkt, dem Mittagessen mit dem Bürgermeister der Marktgemeinde Wendelstein, Werner Langhans...

Barbara Mack

 

Das Gymnasium Wendelstein dankt Cornelia Griesbeck, die den zweitägigen Besuch des Botschaftsrates in Wendelstein und Schwabach mitinitiiert und organisiert hat und so den diplomatischen Besuch an unserer Schule ermöglicht hat.

 

*Hintergrund des kriegerischen Konfliktes in der Ukraine

Im Osten der Ukraine herrschen derzeit kriegsähnliche Zustände, da sich sogenannte „pro-russische Separatisten“ mit der militärischen Unterstützung Russlands vom westlich geprägten Teil der Ukraine ablösen wollen. Begonnen hatte die Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und „dem Westen“ einerseits und Russland andererseits vor über einem Jahr mit den Protesten auf dem „Maidan"-Platz in Kiew, bei denen für Freiheit, Westorientierung und Rechtsstaatlichkeit demonstriert wurde. Als Russland Ende Februar 2014 faktisch die Halbinsel Krim im Schwarzen Meer annektierte, eskalierte die Situation und führte zu Kämpfen zwischen ukrainischen Truppen und (pro-)russischen Kampfverbänden in weiten Teilen der östlichen Ukraine. 

Seitdem versuchen Politiker wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere Staats- und Regierungschefs der EU sowie der USA zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Erst vor wenigen Wochen wurde in einem fieberhaften Verhandlungsmarathon ein Abkommen beschlossen („Minsk II“, da es schon das zweite Abkommen war und wieder im weißrussischen Minsk verhandelt wurde), dass die Kriegsparteien mit ihrem schweren Kriegsgerät zum Rückzug bewegen soll. Die Bestimmungen von Minsk II wurden bisher nicht in vollem Umfang umgesetzt.