Wahrnehmen – mal anders

Eine Ausstellung über Wahrnehmung durch Selbsterfahrung für Schüler im Gymnasium Wendelstein im Rahmen der Woche der Gesundheit und Nachhaltigkeit

Die Hände stecken in dicken Handschuhen und damit muss man einen dünnen Faden in eine Nähnadel einfädeln – ganz schön umständlich, oder? Wie kommuniziert man ohne Ton? Hilft es, die Laute vom Mund des anderen abzulesen oder treten dabei Missverständnisse auf? Was tut man, wenn man aufgefordert wird, sich vorzustellen? Nennt man dann seinen Namen oder tritt man einfach nur vor? Alles nicht so einfach, denn hier kommt es auf die eigene Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung an. Kompliziert wird das Ganze, wenn die eigene Wahrnehmung anders ist als beim Großteil der Bevölkerung und man auf Verständnislosigkeit oder gar Ablehnung stößt:

„Die da, die glotzt immer so blöd und letztens, als ich sie gerufen habe, hat sie einfach so getan, als ob ich Luft wäre. Ich glaube, die ist ganz schön eingebildet…“ (Szene 1)

 

„Wie ist der Typ denn drauf? Der flippt voll aus, nur weil es heute in der Turnhalle ein bisschen laut war! Und dann haut der einfach aus der Turnhalle ab, wenn er Bock hat.“ „Ja, das ist voll unfair.“ „Und warum hat der immer seine Mutter dabei!“ (Szene 2)

 

Das sind zwei Beispielszenen aus dem Alltag an einer Schule mit Inklusionsschülern. Die zwei beschriebenen Mitschüler scheinen ja wirklich seltsam zu sein, oder doch nicht? 

Man kann ja nicht wissen, dass das Mädchen (Szene 1) nicht eingebildet, sondern schwer hörgeschädigt ist und unauffällig versucht, bei den Klassenkameraden von den Lippen abzulesen. 

Man kann ja nicht wissen, dass der Junge (Szene 2) ein Autist ist, dem das Geschrei in der Turnhalle in den Ohren schmerzt wie ein Düsenjet und er deshalb bei Bedarf das Recht hat, sich eine Auszeit zu nehmen. Man kann ja nicht wissen, dass es nicht seine Mutter, sondern seine Schulbegleiterin ist, die ihm Sicherheit und Struktur im Dschungel des Schulalltags gibt. 

 

Oder doch? Ja, das kann man wissen, wenn man mit seiner Klasse die Ausstellung „Wahrnehmung – Autismus und Schwerhörigkeit“ besucht – oder besser erlebt – hat. 

Behinderte Schüler haben das Recht auf den Besuch einer Regelschule, auf Inklusion. Damit die erfolgreiche Beschulung und Inklusion eines autistischen oder hörgeschädigten Schülers gelingen kann, ist aber die Bereitschaft aller Beteiligten (Lehrkräfte, Eltern, Erzieher, Schüler, Mitschüler) erforderlich, sich auf das Störungsbild einzulassen und es anzunehmen. Der Umgang mit „Verschiedenheit“ muss erst erfahren, gelernt und geübt werden (zit.n. Ina Slotta), denn Inklusion findet zuerst im „Kopf“ statt. Wie diese Inklusion an unserer Schule bereits gelingt, wie man – auch als Mitschüler – hörgeschädigten oder autistischen Kindern und Jugendlichen den Schulalltag erleichtern kann, darüber durften sich die Besucher der Ausstellung genauer informieren und ihre Wahrnehmung bei verschiedenen Aufgaben selbst testen. So erfuhren die Besucher zum Beispiel, welche Aufgaben eine Schulbegleitung hat oder welche Arten der Schwerhörigkeit es gibt. Außerdem wurden sie für den Unterschied zwischen wortwörtlicher und übertragener Bedeutung von Sprichwörtern sowie Redewendungen sensibilisiert. Diese Ausstellung fand im Rahmen der Woche der Gesundheit und Nachhaltigkeit statt und lieferte einen weiteren Beitrag zum Gelingen der Inklusion.

Viola Peters, Nadja Schnedelbach

Fotos: Claudia Leder