Klein, letztlich dann doch ganz groß – die Weihnachtskulturabende 2015

Wenn Generalprobe und Premiere gut laufen – was soll dann noch schief gehen? Jeder, der schon mal mit den vertrackten Mechanismen einer Inszenierung zu tun hatte, kennt diese Spekulationen. Sie beschreiben mal prophetisch, mal in der Rückschau ein Phänomen, das vom Auftritt einer Kindergartengruppe bis hinein in den hoch professionellen Bereich in stets unvorhersehbarer Zuverlässigkeit zu beobachten ist: Fast bis gänzlich unabhängig von der Vorbereitung schleicht sich der Schlendrian oder Murphys Gesetz oder die Tücke im Detail ein und scheint – vor allem für die Verantwortlichen vieles zu vergällen, wofür man gehirnt, geschwitzt und gekämpft hatte. Das Publikum ist meist sehr viel gnädiger und verzeiht gern den Holperer, den man als Performer auf der Bühne so gar nicht gebrauchen kann.

Beim ersten Durchgang unseres dritter Weihnachtskulturabends (WKA) schaute Murphy und seine Bande ein bisschen zu oft vorbei. Diesmal traf es nicht die Generalprobe, die seinem Gesetz folgend ja besonders geeignet wäre, mal so richtig zu zeigen, was alles schief gehen kann. Nein, es war ausgerechnet die Premiere, die den Verantwortlichen auch drei Tage später noch im Magen lag – obwohl auch diese erste Auflage wieder begeisterten Applaus und positive Rückmeldung erntete.

War also aufs Ganze gesehen unser erster WKA damals im Jahre 2013 die Generalprobe für das besondere Format, das sich am Gymnasium Wendelstein nun etabliert, der WKA 2014 dann seine rundum gelungene Premiere, so lag 2015 die selbst gelegte Latte naturgemäß noch höher. Denn natürlich gab es die Erwartung all jener, die diese Steigerung erleben durften, dass es weiter bergan ging. Für alle Zuschauer, die das Spektakel zum ersten Mal sahen, war es kaum spürbar, mit welchen Erwartungshaltungen, mit welchem professionellen Druck und mit welch ausgeklügelter Technik dieser dritte WKA seiner Realisierung entgegen schritt.

Resümiert man nüchtern, so waren es nur sehr wenige Momente die das Bild des ersten Durchgangs am 16. Dezember 2015 trübten. Da hatte ein Film der Klasse 7b keinen Ton, ohne den er beim Publikum so ganz unverständlich herüberkam. Bestand er doch aus einer Reihe von Interviews, die die Wünsche und Vorschläge der Schülerinnen und Schüler für die Nutzung eines Brachgrundstücks in Schulnähe zeigten. Im Geografie- und Kunstunterricht (Ltg. D. Westley, W. Bloß) hatten sie erarbeitet, was zu bedenken wäre, wenn „Kleine“ sich um derart „Großes“ kümmern.

Tragisch war der Ausfall eines Mischpultes, das sich doch in der Generalprobe bereits bewährt hatte, im Falle von Carolin Betz (9d), eine unserer profiliertesten Sängerinnen. Beim Abschlusslied sang sie als Background-Voice für unser zauberhaftes Christkind Isabell Lippmann (8e) so schön, dass das gebannt lauschende Publikum gar nicht auf die Idee kam mitzusingen. Bei ihrem Bandauftritt hingegen war technisch bedingt ihre Stimme gar nicht zu hören, trotzdem hielten sie und ihr Duo-Partner Philipp Gstaltmeier (9b) bis zum Ende des Liedes tapfer durch und fingen professionell auf, was die Technik missraten ließ. Den Technikern selbst standen die Haare zu Berge, der Fehler ließ sich während des Auftritts aber nicht mehr ausfindig machen und beheben. So wäre es nun an der zweiten Aufführung am Freitag gewesen, diese Scharte wieder auszuwetzen. Leider stand Carolin krankheitsbedingt hier nicht mehr zur Verfügung. In der Not – und die ist ja eher kein Mitglied in Murphys Bande – entstand dann etwas unerwartet Wundervolles: Philipp lernte Carolins Part in kürzester Zeit nach und legte mit seiner Band – technisch einwandfrei flankiert – einen Soloauftritt hin, der sich gewaschen hatte. Eigentlich verlangte das begeisterte Publikum nach einer Zugabe, aber Christoph Heinlein, gestrenger Zeremonienmeister des Abends, zog den klaren, planmäßigen Ablauf vor. An Unerwartetem hatte er einfach genug miterlebt.

Und damit wären die einschneidendsten Pannen und ihre unerwarteten Folgen bereits geschildert. Der ganze Rest verlief am Mittwoch wie am Freitag in gleicher und auch gleich hoher Qualität: Die Klassen 5a, c und d (dirigiert von Chr. Heinlein) leiteten die Abende ein mit einer stimmungsvollen Interpretation von „The Carol of the Drum“. Die Percussiontruppen von Susanne Schoch brachten wieder exotisches und experimentelles Flair in den Abend. Ganz im Zeichen des Mottos „Klein ganz groß“ brachten sie z.B. Minimal Music groß auf die Bühne. Einen besonderen Luxus leistete sich unsere Schule, als die „WendelStreicher“ (Ltd. Chr. Heinlein) den Turnerinnen (stellvertretend Luisa Frank, 7b) und dem Turner (Julian Starig, 5a als Hahn im Korb) des Wahlkurses „Zirkus und Bewegungskünste“ die Bühne räumten und nebenan musikalisch illustrierten, was sich bewegungstechnisch dort in bewährter Präzision abspielte.

Auch ohne orchestrale Begleitung machte der Wahlkurs unter der Leitung von Simona Sommer mit weiteren Choreografien eine gute Figur. Waren beim letzen WKA noch viele sehenswerte Effekte im Spiel, so setzte die Truppe heuer auf die schnörkellose Schönheit einer perfekt kontrollierten Bewegung. Die von Susanne Schoch geleiteten Chöre, z.T. unterstützt von Bianca Heckl am Klavier, brillierten jenseits der stimmlichen Performance mit einer Spielfreude und Körperspannung, die manch einem Theaterstück sehr gut zu Gesicht stehen mag. Auch das Schultheater (Ltg. M. Müller, N. Schnedelbach, M. Trottmann) war vertreten mit einem ebenso lustigen wie nachdenklichen Schwank über die weihnachtlichen Werte und die kleinen Wunder, die das Fest hervorzubringen vermag.

Ausgefeilte Zaubereien präsentierte Leon Bidner (7f), der vor allem sein junges Publikum mit Schnur- und Kartentricks in Staunen versetzte. Hier sorgten die Techniker unter der Leitung von Matthias Kusber für Spannung, denn es gelang ihnen nach einer etwas dramatisierenden Verzögerung, Leons Kunstfertigkeit per Kamera, W-LAN-Verbindung, Handy und Beamer vergrößert zu projizieren. Eine technische Leistung, die auch im Reigen des übrigen und großen technischen Aufwands nicht ganz selbstverständlich war. Führt man sich vor Augen, mit welch komplexem Equipment die jungen Techniker (stellvertretend für alle: Max Dettenthaler, 9e) arbeiten müssen, so grenzt es fast an ein Wunder, was hier trotz Murphys Law alles einwandfrei funktionierte.

Den stimmungsvollen und mitreißenden Höhepunkt des Abends bildeten die Auftritte der beiden Bands. Neben Carolin Betz und Philipp Gstaltmeier zeigten auch Jana Köhnlein (10b) und Joshua Seidl (9a) was sie mit Unterstützung ihrer Instrumentalisten in Wort und Klang zu verpacken vermögen. Ihre Interpretation des „Boulevard of Broken Dreams“ riss das Publikum von den ersten gespielten Takten an mit. Unsere Kletterer (Ltg. S. Behr, Dr. J. Novotný, S. Sommer) sorgten für sportlichen Thrill, als sie danach und in der Pause Schlusszeichen setzten - beim souveränen Abseilen aus dem zweiten Stock.

Dieses Bühnengeschehen war wie stets flankiert von weiteren Aktionen und Schülerwerken in der Schulaula. Zumeist aus dem Off trug der Wahlkurs Poetry-Slam (Ltg. E. Lenner) dazu bei, dass die Umbaupausen mit launigen Haikus, Elfchen und Dialogen überspielt wurden. Zeichnungen und inszenierte Fotografien aus der Kunst (Ltg. C. Leder und R. Thomas) wurden projiziert und die Schülerinnen und Schüler der Klassen 5a, b, d, 6b, d und 7d zeigten im Stummfilm, wie sich ihre selbst entwickelten Papiergirlanden von ganz kleinen Stapeln bis zu ganz großen Gebilden (z.T. über 8 Meter lang) entfalten ließen (Ltg. W. Bloß). Diese aufgespannten Arbeiten zierten atmosphärisch den Luftraum der Aula. Eingerahmt wurden diese räumlichen Installationen von Virusmonsterchen aus Claudia Leders Klassen 5c, 6a und c, die – wie manch anderer Beitrag auch – eine vor den Toren der Schule allenthalben spürbare, weihnachtlich kitschige Seligkeit mit Humor und unnachgiebigem Realismus quer zu bürsten verstanden.

Der Wahlkurs Imkerei (Ltg. Johanna Brandl) bot Bienenprodukte an, die Klasse 10b (Ltg. C. Leder) Weihnachtskarten und der Wahlkurs Kostüme- und Kulissen (Ltg. U. Schall) selbstgenähte Taschen mit ökologischer wie sozialer Botschaft und Prämisse: Die Käufer konnten selbst entscheiden, wie viel ihnen dieser kleine aber nachhaltige Beitrag zu einer Minderung des Plastikmülls auf der ganzen Welt wert ist.

Am Mittwoch bat die Klasse 5d um finanzielle und moralische Unterstützung beim gemeinsamen Setzen eines Zeichens gegen die Gewalt weltweit. In der Pause entzündeten sie im Innenhof ein riesiges Friedenszeichen aus Bienenwachskerzen, dessen bekannte Binnengestaltung ganz nah an das Erscheinungsbild des Pariser Eiffelturms herangeführt worden war. Nicht nur mit diesem Friedenswunsch stand die Veranstaltung auch im Zeichen weltweiter Herausforderungen. Engagierte vom Helferkreis z.B. Ines Janker-Ungermann und Michael Haupt sowie Lehrkräfte unseres Hauses begleiteten Menschen, die auf der Flucht vor den Lebensbedingungen in ihrer Heimat bis nach Wendelstein und nun zum Kulturabend gefunden hatten und auf diesem einen ganz besonderen Einblick in die für sie noch neue Kultur erleben konnten.

Doch was wäre die ganze Show mit all ihren Höhen und Tiefen gewesen, gäbe es nicht auf ein Neues den (neudeutsch so genannten) Open Space, also die schönen offenen Phasen einer solchen Veranstaltung, in denen die Schulfamilie informell zusammenfindet, vor allem auch beim Buffet des Wahlkurses Catering (Ltg.: M. Groeninger, V. Peters und D. Westley). Im Ganzen betrachtet liegt der Sinn einer solchen Veranstaltung auch in diesen Begegnungen und Perspektivenwechseln. Es lernen sich Schülerinnen und Schüler neu in gänzlich fremden Rollen kennen. Hier darf ein Lehrer seinen womöglich und vermeintlich minderbegabten Schüler auf der Bühne in der Rolle eines Stars entdecken. Hier sehen Eltern und Verwandte, was es heißt, jenseits vom Lehrplan daran zu arbeiten, dass die Kinder und Jugendlichen an ihren Aufgaben und Herausforderungen wachsen und gedeihen. Würden auf dem Weg zu diesem Gedeihen keine Fehler passieren, wäre der letztlich erreichte Erfolg wohl gar nicht so wertvoll, wie er nach ihrer Bewältigung erscheint. So durften wir erleben, dass die Rückschläge vom Mittwoch manchen klein zu machen drohten, der dann am Freitag doch wieder ganz groß herausgekommen ist – auf, unter, neben, über und hinter der Bühne.

Werner Bloß

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