„Partnerschaft hat viele Formen“ – ein Vortrag von Prof. Dr. Traugott Roser

(Auftaktveranstaltung der Reihe „Bunt beginnt im Kopf“ im Schuljahr 2015/16)

Die im Frühjahr 2015 am Gymnasium Wendelstein eröffnete Themenreihe „Bunt beginnt im Kopf“ formuliert im Rahmen verschiedener Aktionsbausteine vielgestaltige Plädoyers für mehr Toleranz und Achtsamkeit im Umgang mit alltäglich erfahrbaren Erscheinungsformen inter- und soziokultureller Vielfalt. 

Als Experte für Diversität in gleich mehrfacher Hinsicht geladen war zu Beginn des neuen Schuljahres Traugott Roser, ev. Pfarrer und Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Münster. Roser, der seine Kindheit und Jugend in Roth verbracht und seine wissenschaftliche Karriere mit Forschungen zur Medizinethik begründet hat, war einigen seiner jugendlichen Zuhörer bereits aus deren Schulbuch bekannt. Durch entsprechende Kenntnisse und ein Informationsschreiben gut auf den Besuch vorbereitet, begegneten die Schülerinnen und Schüler der 10. Jahrgangsstufe dem in einer eingetragenen Partnerschaft lebenden Theologen mit vielen interessierten und teils auch kritischen Fragen, die der Referent im Rahmen seines anschaulichen Vortrages rundum auskunftsbereit beantwortete. Die bereits im Vorfeld der Veranstaltung per Fragebogen ermittelten Interessenschwerpunkte der Jugendlichen bezogen sich auf ganz verschiedene Themenkomplexe wie beispielsweise ein Coming-Out gegenüber Freunden und Eltern, die rechtliche Situation von Schwulen und Lesben, Homophobie, Diskriminierungserfahrungen, Kinderwunsch, etc.

In kommunikativer Vortragsatmosphäre und entlang der seitens seiner Zuhörer aufgeworfenen Fragen referierte der Hochschullehrer zunächst über verschiedene Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens und die unterschiedlichen Bewertungen, denen diese im Laufe des historischen Wandels unterworfen waren. Im Zentrum standen dabei die gesellschaftlichen Daseinsbedingungen für Homosexuelle und die Antwort auf die Frage, wie sich diese seit Bestehen der BRD verändert haben. 

Ausgehend vom Strafrechtsparagrafen 175, der seine Gültigkeit noch bis in die 1990er Jahre behalten und dazu beigetragen hat, Homosexualität in den Köpfen gleich mehrerer Nachkriegsgenerationen immer wieder in die Nähe von kriminellen Handlungen und pornographischen Akten zu rücken, zeichnete Roser die Entwicklungen zunächst bis hin zur AIDS-Debatte der 80er-Jahre nach, im Rahmen derer männliche Homosexualität wiederum als vornehmlich angstbesetztes und bedrohliches Thema verhandelt wurde. Angereichert durch aussagekräftige biographische Erfahrungen schlug er im Folgenden den zeitlichen Bogen von den 1990ern über die im Jahre 2001 juristisch grundgelegte eingetragene Lebenspartnerschaft bis hin zur aktuell erlebten, wenn auch epochal verspäteten Liberalisierungswelle in der westeuropäischen Staatenwelt.

Mit großer Offenheit und Authentizität gelang es dem Gastredner das Thema alternativer Partnerschaftsmodelle ins Bewusstsein aller Anwesenden zu heben und aus ganz unterschiedlicher Perspektive zu beleuchten. Neben der Sichtweise der unmittelbar Betroffenen kam auch die im Zuge eines Outings besonders zentrale Bedeutung von Familie und Freunden zur Sprache. Problematisiert wurde zudem die Rolle der Eltern, die sich als „straight allies“ häufig versagen und der Homosexualität des eigenen Kindes zunächst meist eher kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, da sie für ihren Sohn oder ihre Tochter eine berufliche oder gesellschaftliche Sonder- bzw. Randstellung befürchten. 

Deutlich wurde in dem durch viele lebensnahe Beispiele untermauerten Vortrag für die Schülerinnen und Schüler auch, dass Schwule und Lesben heute keine bedauernswerten, da systematischen Beleidigungen und Benachteiligungen ausgesetzten Außenseiter mehr sind, dass der Weg zu vollständiger Normalität, tatsächlicher Chancengleichheit und selbstverständlicher Akzeptanz jedoch trotz inzwischen vielfach gewandelter Unternehmensphilosophien und angestoßener Diversity-Management-Maßnahmen noch immer ein vergleichsweise weiter und holpriger ist. 

Eine ganz klare Absage erteilte Prof. Roser in diesem Zusammenhang der langjährig gepflegten Praxis der wegsehenden und totschweigenden Duldung getreu der Devise „rechtswidrig aber straffrei“. Gerade auch vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Krankenhausseelsorger sprach er sich ganz explizit für den Schutz von Minderheiten und die Etablierung von Rechtsformen aus, die sowohl öffentlich als auch juristisch jederzeit belastbar sind. Der durch den Begriff „Lebensentwurf“ unterstellten Wahlfreiheit in Fragen der sexuellen Orientierung und dem dabei allzu häufig mitschwingenden Vorwurf der moralischen Verwerflichkeit widersprach er ebenfalls ganz eindeutig.

Die Anzahl der Schülermeldungen auf die Frage Rosers, wer Homosexuelle im engeren Freundes- und Bekanntenkreis habe bzw. kenne, lässt immerhin vermuten, dass das Thema inzwischen auch komplett in der Mitte der jugendlichen Gesellschaft angekommen ist. Die kritisch-aufgeschlossenen und obendrein durchwegs von viel Sprachsensibilität im Umgang mit der Thematik zeugenden Fragen einzelner Schülerinnen und Schüler ließen viel tolerante Offenheit und Aufgeklärtheit, zum Teil aber durchaus auch noch so einiges an fortbestehendem Klärungsbedarf erkennen.

Die an den Referenten persönlich adressierte Frage nach der Vereinbarkeit von Pfarramt, „göttlichem Willen“ und Homosexualität wurde von diesem durch schlüssige Querverweise auf seine eigene Biographie beantwortet. Seit Beginn seiner Pfarrerslaufbahn in den 1990er Jahren habe er nie einen Hehl aus seiner sexuellen Orientierung gemacht und dies sei auch der einzige für ihn gangbare Weg gewesen. Bestärkt durch die eingeforderte und erfahrene Akzeptanz plädierte er dafür, weder ein Geheimnis noch viel Aufhebens um die eigene (Homo-)Sexualität zu machen, da diese so am wenigsten zum Problem für einen selbst und andere werde.

Der Schülerfrage, ob es denn tatsächlich einen Grund gäbe, auf seine wie auch immer gelagerte sexuelle Orientierung stolz zu sein, begegnete Roser mit der Formulierung einer Zielvorstellung, die vorsieht, in erster Linie ehrlich sein zu können, im Umgang mit sich selbst und anderen. Menschen sollten sich – so hat es ihn das eigene biographische Herkommen gelehrt – nicht wegen ihrer Sexualität verstecken müssen. Ein selbstbewusstes Auftreten sollte, unabhängig von der eigenen sexuellen Orientierung, als Normalität und nicht als Provokation, Bedrohung oder Ausgreifen nach etwas nicht allen gleichermaßen Zustehendem verstanden werden. Menschen, egal wo sie gerade im Leben stehen, sollten sich outen dürfen und können, beziehungsweise dieses im Idealfall vielleicht auch irgendwann einmal gar nicht mehr tun müssen. 

Anachronistisch in der Gesamtdebatte erscheinen bereits jetzt verkrampfte Etikettierungs- und Rechtfertigungsversuche im Hinblick auf Zusammenlebenskonstellationen, die nicht mehr dem klassischen Vater-Mutter-Kind(er)-Modell entsprechen, sondern vielmehr Patchwork sind, und längst auch Alleinerziehende und andere Lebensformen mit einschließen. Die Bemessungsgrundlage dessen, was es als förderns- und schützenswerte gesellschaftliche Grundeinheiten zu betrachten gilt, sollten laut dem Theologen dementsprechend nicht mehr länger die per Fremddefinition vorgegebenen äußeren Erscheinungsformen, sondern die Art und die Qualität des Zusammenlebens darstellen. 

Diversität in ihren zahlreichen Spielarten kann dazu beitragen, Vielfalt auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu akzeptieren. Mehr Offenheit, so Roser, erleichtere beispielsweise auch den Umgang mit anderen kulturellen Lebensformen oder Glaubensrichtungen. 

Als einen unabdingbaren Selbst- und Weiterentwicklungsmotor gelte es dabei stets das Interesse und die Neugier an Menschen zu betrachten, die zunächst als anders erlebt werden als man selbst. Dass es Traugott Roser im Rahmen seines Besuches am Gymnasium Wendelstein gelungen ist, diese Art von Interesse zu wecken und darüber hinaus Vielfalt als eindeutige Stärke begreifbar werden zu lassen, steht am Ende seines Vortrags völlig außer Frage.

Die Reihe „Bunt beginnt im Kopf“ wird im Schuljahr 2015/16 fortgeführt und durch weitere Aktions-Bausteine aus den Bereichen Interkulturalität, Anti-Rechtsextremismus und NEIN-zu-Rassismus ergänzt.

Mirjam Müller