Ausflug ins Germanische (6. Jgst.)

Das Ende der sechsten Jahrgangsstufe bietet sich hervorragend an, einen musealen Paukenschlag zu setzen. Es geht in der lehrplangemäßen Kunstgeschichte nicht mehr um ferne Zeiten und Welten (die Steinzeit, das alte Ägypten, die römische und griechische Antike). Bereits in der nun nahen siebten Klasse lernen die Schülerinnen und Schüler Bauten und Werke kennen, die wir auch in unmittelbarer Nähe und in großer Qualität finden können.

So ist die Stadt Nürnberg ohnedies eine reichhaltige Fundgrube für die Spuren dieser greifbaren Zeiten, z.B. des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit (s. auch der Beitrag zur Geschichts-Exkursion). Obendrein beherbergt sie ein weltweit einmaliges Museum mit Schätzen weit darüber hinaus, was der eigentümliche Name "germanisch" ahnen lässt.

Trotz der Schwerpunktsetzung im Stoff des kommenden Schuljahres gelingt im "Germanischen" ohne Probleme der Anschluss an die Antike: Es gibt Keltenschmuck und Römerhelme zu bestaunen. Aber auch die schwer ausleuchtbare Zeit des frühen und hohen Mittelalters ist präsent und erschien auch den Schülerinnen und Schülern seltsam in ihrer zum Teil nahezu kindlichen, zum Teil ornamentalen, selten realitätsbezogenen Bildsprache. Da gibt es Trinkgefäße in Form eines Elefanten, denen man ansieht, dass der Künstler – besser: der Handwerker – noch nie ein solches Tier gesehen hat. Und Christus hängt am Kreuz ohne die Anmutung von Schwerkraft oder Schmerz.

Im späten Mittelalter ändert sich das, und manch aufmerksamem Kind fiel auf, dass die Skulpturen wieder einen Schwung in ihrer Gestalt bekommen - fast wie bei den alten Griechen. Ganz deutlich sahen wir das über Jahrhunderte mühsam wieder erkämpfte Interesse am Hier und Jetzt, an der Gegenwart und Wirklichkeit an den Werken der beginnenden Neuzeit und des Barock. Als diese Wandlung bei unserem Besuch nach und nach begreifbar wurde, unternahmen wir einen Abstecher in die Abteilung der technischen Geräte dieser Zeit.

Eines der hervorragendsten Ausstellungsstücke ist dabei immer noch der Behaim-Globus. Zum einen zeigt er, welche Ideen und Möglichkeiten vor 500 Jahren aufkamen mit Hilfe dieser Instrumente und der beginnenden Erforschung und Vermessung unserer Welt. Zum anderen bildet er exakt die Vorstellung ab, die Christoph Kolumbus im Sinn hatte, als er aufbrach, nach Indien einmal anders herum zu fahren resp. in See zu stechen. Der Globus zeigt viel und vieles davon sehr exakt, was auch heute noch auf einem Globus abgebildet ist. Eines zeigt er nicht: Amerika.

Mit dieser Entdeckung und vielleicht auch mit den entsprechenden Einsichten gingen unsere Schülerinnen und Schüler nun an die Bildnisse der Renaissance heran und erfuhren im Kleinen, was hier gerade im Großen dargestellt wurde: Die hiesige, irdische Welt ist spannend, erfahr- und erforschbar, und das sieht man sogar in einem Marienporträt des frühen 16. Jahrhunderts: anatomische, botanische und zoologische Präzision im Abbilden der Menschen, der Fauna und der Flora, perspektivische Raumdarstellungen, offenen Horizonte ...

Beim Beispiel für barocke Gestaltung nahm dieser Realitätsbezug sogleich illusorische und mitreißende Züge an. Der Erzengel Michael (s. Abb.) schein von der Kirchenwand zu stürzen und der Bildhauer setzte alles daran, diesen Eindruck von Dynamik und Überwältigung drastisch zu inszenieren. Auf der anderen Seite waren einige Kinder davon beeindruckt, dass es in der Barockzeit und vor allem "am Hofe" mancher Fürsten gar nicht (mehr) so christlich zuging: Da huldigte man – bildnerisch – antiken Göttern und vergnügte sich mit heidnischen Sagen in einer Freiheit, die sich das einfache Volk in dieser Form (noch) nicht herausnehmen durfte.

Den Abschluss unserer Rundgänge – wir waren im Juni nacheinander mit sechs sechsten Klassen im Museum – bildete meist ein Besuch beim "Südtiroler Weinberghüter". So exotisch diese bekleidete Puppe anmutet, so witzig und aufschlussreich ist ihre Anwesenheit als "echtes" Exponat unter anderen – hoffentlich – echten Exponaten im "Germanischen". Im Vitrinentext vorsichtig umschrieben, findet man bei näherem Nachlesen Informationen darüber, dass dieses Ausstellungsstück nicht deshalb im Museum steht, weil es irgendeine Realität abbildet, die ein Museumaufkäufer im 19. Jahrhundert im schönen Südtirol vorfand. Nein, den Weinbergghüter gibt es wohl nur, weil es Leute gab, die für eine solche, ziemlich unpraktische Tracht echtes Geld zahlten auf der Suche nach vermeintlicher Exotik im europäischen Nahraum. Die Kinder erkannten auch recht schnell, dass es die Vögel im Weinberg wohl kaum beeindruckt hätte, wenn man sie mit Federschmuck und Hellebarde verscheuchen hätte wollen. Und ungebetene menschliche Gäste im Weinberg hätten sich wohl eher schief gelacht als die Flucht ergriffen vor einer solch "schmucken" Gestalt.

Andere Klassen beschlossen ihren Besuch vor einem Werk, das uns im Lehrplan erst viele Jahre später begegnen könnte: Ernst Ludwig Kirchners Selbstporträt, in dem er zeigt, dass vor 100 Jahren nicht alle "Hurra" schrieen, als der Erste Weltkrieg begann. Malerisch sehr persönlich verpackt kann man hier einen Menschen sehen, dem das Kriegsgetöse auf der Straße ziemlich aufs Gemüt schlägt. So sahen die Kinder neben martialischen Erzengeln, antiken Helden und barocken Schönheiten auch einmal das Statement eines Antihelden, dessen Haltung wohl mutiger und menschenfreundlicher war als das vieler seiner kriegsbegeisterten Zeitgenossen.

Manche Klasse hatte noch die Zeit, die Exkursion ins "Germanische" mit einem Besuch am museumsnahen Wasserspielplatz abzurunden (s. Abb.). Dass ein Museumsrundgang aber auch recht anstrengend sein kann, sahen wir daran, dass gar nicht alle Kinder das Bedürfnis hatten, hier weiter Energie zu investieren. Das Pausenbrot und die 1.000 Eindrücke des Museums mussten erst einmal verdaut werden.

Ein herzlicher Dank geht an dieser Stelle an alle Kolleginnen und Kollegen, die durch ihre aktive Teilnahme und durch die Vertretung der (wenigen) ausfallenden Stunden diese wunderschönen Exkursionen für unsere Schülerinnen und Schüler und für uns Kunstlehrer erst möglich gemacht haben.

Werner Bloß für die Fachschaft Kunst