Mit 15 Jahren als Freiwilliger der „Heimatarmee“ gekämpft

Bericht mit freundlicher Genehmigung von Dr. Jörg Ruthroff

Wendelstein - In Pommern in einer gutbürgerlichen polnischen Familie geboren, wuchs Jerzy Grzywacz nach dem Umzug der Familie nach Gdynia in eine Zeit mit Spannungen zwischen Polen und Deutschen in seinem Land hinein. Gerade zehn Jahre alt, überrannte als Auftakt zum 2.Weltkrieg Deutschland seine Heimat Polen in kurzer Frist und besetzte das Land. Die Jahre bis 1945 als Mitglied der „Grauen Reihen“ - einer militärisch geprägten Jugendorganisation der polnischen „Heimatarmee“ - prägen seitdem sein Leben. Später Professor für Physik mit Lehrtätigkeit an der Universität in Thorn, gehört er außerdem seit 1994 zu den treibenden Kräften in seiner Region, die sich für die europäische Aussöhnung und die Partnerschaft Mittelfrankens mit der Wojewodschaft Pommern einsetzen.

Von Dr. Gerhard Beuschel vom Kreisverband Nürnberger Land der „Europa-Union Deutschland“ betreut, fährt Prof. Dr. Jerzy Grzywacz jährlich auch mit seinen inzwischen 90 Jahren noch nach Deutschland, um vor Schulklassen an Gymnasien als Zeitzeuge über die Jahre der deutschen Besetzung Polens 1939 bis 45 zu berichten. Dieses Mal hatten jeweils die 9.Klassen der Gymnasien in Altdorf und Wendelstein das seltene Glück, ihn als Zeitzeugen direkt zu hören, wie er als Ju- gendlicher die Kriegsjahre erlebte und wie sich vor allem der zivile und militärische Widerstand in Polen unter der deutschen Besatzungsmacht organisiert hatte und aktiv war.

Am Wendelsteiner Gymnasium begrüßte Direktor Dr. Johannes Novotny persönlich den weitgereisten Gast und dankte ihm für die Bereitschaft, aus seinem Leben mit dem Schwerpunkt der Kriegsjahre bis 1945 zu berichten. Dr. Gerhard Beuschel übernahm eine kurze Einführung in die Entstehung, Arbeit und Organisation der „Europa-Union“. Mit dem Satz „Zeitzeugen für das 20. Jahrhundert mit seinen menschlichen Katastrophen sterben aus, deshalb ist es umso wichtiger, diese Stimmen noch direkt zu erleben als Teilnehmer früherer Ereignisse der jüngsten Geschichte“ bat er danach Prof. Grzywacz um seinen Vortrag.

„Früher habe ich alles Deutsche gehasst“

Den gesamten Vortrag in gutem Deutsch haltend, bekannte der Referent, dass er als Kind und Jugendlicher alles Deutsche gehasst habe. Inzwischen denke er aber anders darüber und bringe sich deshalb für die Idee der europäischen Völkergemeinschaft sowie für die Freundschaft zwi- schen Polen und Deutschland bzw. zwischen Pommern und Mittelfranken gerne mit ein - auch in seinem jetzigen hohen Alter. Warum er als Jugendlicher vieles anders sah, erklärte er zu Beginn des Vortrags mit dem „Blitzkrieg“ Deutschlands und der Besetzung Polens 1939 sowie im Hinblick auf die nach der Besetzung eingeführten Veränderungen in seiner Heimat.

Als Kind mit der Familie innerhalb Pommerns nach Gdynia umgezogen - wo sein Vater an der Industrie- und Handelskammer arbeitete - erlebte er hier im Verlauf der 1930er Jahre eine zunehmende Spannung und Gegnerschaft zwischen der deutschen und polnischen Bevölkerung. Bei Beginn der deutschen Kriegshandlungen gegen Polen wurde sein Vater zur polnischen „Heimatarmee“ eingezogen und geriet in Kriegsgefangenschaft. Er selbst kehrte zu dieser Zeit aus einem Pfadfinderlager nach Gdynia zurück, als der „Blitzkrieg“ begann. Die Niederlage sei- nes Heimatlandes und die Besetzung Polens durch Deutschland ließ ihn schlimmes ahnen.

Die polnische Bevölkerung in Pommern sollte „germanisiert“ werden

Im Oktober 1939 „verschwand“ Polen von der Landkarte: Aufgrund einer Geheimklausel im sogenannten „Hitler-Stalin-Pakt“ hatte die Sowjetunion sich während des „Blitzkriegs“ ruhig verhal- ten und bekam dafür Polens östliche Regionen, während Deutschland im Land die deutsch be- siedelten Regionen wie Pommern selbständig beließ und für die restlichen Gebiete das „Generalgouvernement“ einrichtete. Einher ging damit, dass in Pommern von da an in der Schule nur noch deutsch gesprochen werden durfte und öffentliche Gespräche in Polnisch unter Strafe ge- stellt wurden - so sollte die polnische Bevölkerung „germanisiert“ werden.

Wer sich dem verweigerte, so Grzywacz, bekam sehr bald den Terror der deutschen Verwaltung zu spüren: Noch 1939 wurde begonnen, „ohne Vorwarnung“ Familien umzusiedeln: Die Polizei kündigte bei einem Besuch im Haus die Umsiedlung noch für den gleichen Tag an und gab den „Umsiedlern“ zum Einpacken nur 30 Minuten. Im Lastwagen zum Bahnhof eskortiert, ging die Reise dieser Familien dann entweder als Zwangsarbeiter ins Deutsche Reich, ins „Generalgouvernement“ oder manchmal auch direkt ins KZ. Als die Familie von Jerzy Grzywacs sich 1940 weigerte, offiziell „Deutsch-Polen“ zu werden, wurde auch sie zwangsumgesiedelt.

Gemeinsamer Schulunterricht mit den Baltendeutschen

Eingeprägt hat sich für den Referenten ein weiteres Detail der letzten Monate in Pommern: Eben- falls als Konsequenz des Hitler-Stalin-Pakts wurden in die frei gewordenen Wohnungen damals deutsche Familien aus dem Baltikum einquartiert, da diese ihrerseits 1939 gezwungen wurden ihre Heimat zu verlassen, die an die Sowjetunion überging. Auch durch diese Erfahrungen ge- prägt, wurden für Jerzy Grzywacz und seinen jüngeren Bruder die letzten Monate in der Schule in Gdynia zu einer Qual. 1940 zwangsweise in Pommern ausgesiedelt, hatte die Familie das „Glück“ im „Generalgouvernement“ und genauer in Warschau angesiedelt zu werden.

Hier erschien der Familie zunächst vieles wie „im Paradies“, da sie jetzt wieder in der Öffentlich- keit polnisch reden durfte und es auch wieder polnische Schulen gab. Andererseits gehörten hier noch stärker als in Pommern Terror und Einschüchterungsaktionen der Deutschen zum Alltag: Grundlos konnten alle Passanten in einem Straßenzug durch deutsche Polizeieinheiten gefan- gengesetzt werden und dann als Zwangsarbeiter nach Deutschland geschickt oder ins KZ gebracht werden. Andererseits hatte sich längst innerhalb der polnischen Bevölkerung eine starke Widerstandsbewegung gebildet, der sich in Warschau auch Jerzy Grzywacz anschloß.

„Heimatarmee“ und „Graue Reihen“

Nach der Besetzung Polens begann im Untergrund der Aufbau einer neuen „Heimatarmee“, die zwar bei Kriegsende 1945 aus bis zu 380.000 Mann bestand, aber nur leichte Waffen wie etwa Revolver und Gewehre und dies nicht einmal für alle ihrer „Soldaten“ hatte. Als Jugendorganisation und Nachwuchs für die Heimatarmee wurden aus der Pfadfinderbewegung heraus die „Grauen Reihen“ mit etwa 15.000 Mitgliedern gegründet. Die Heimatarmee hatte als Erkennungskürzel für vertrauliche Dokumente und Kampfeinsätze auf einer Armbinde die Buchstaben „AK“ und die Mitglieder der „Grauen Reihen“ das Kürzel „Sz. Sz.“ (Szare Szeregi).

Als Jugendlicher wuchs der Referent in Warschau damit mit „spannendem Alltagsleben“ auf: Da im Generalgouvernement die polnischen Schulen bewußt nur einen „Minimalbedarf“ an Ausbildung zugestanden bekamen, gab es Untergrundschulen und -universitäten. Unterrichtet wurde in Privaträumen in Kleingruppen, wobei die Schüler - um nicht aufzufallen - einzeln und mit zeitli- chem Abstand hintereinander kommen und gehen mussten. Und es gab die Ausbildung bei den „Grauen Reihen“, die nach Altersstufen aufgeteilt die militärisch orientierte Ausbildung der Nach- wuchskämpfer für die „Heimatarmee“ übernahm.

Von Rittern, der Kampfschule und der Sturmgruppe

Die jüngsten im Alter von 12 bis 15 Jahren gehörten bei den „Grauen Reihen“ zur Gruppe der „Ritter“ mit einem „Z“ als Erkennungszeichen, während die Jugendlichen zwischen 15 und 18 zur „Kampfschule“ mit dem Kürzel „BS“ gehörten. Die Aktiven von 18 bis 20 Jahren waren in der „Sturmgruppe“ mit dem Kürzel „GS“ zusammengefasst. Für die „Ritter“ galt als Ziel möglichst viel zu lernen in der deutschen Schule, während die Mitglieder der „Kampfschule“ bereits zu kleinen Sabotageaktionen angeleitet und Aktionen wie Parolen im öffentlichen Raum eingesetzt wurden mit Kürzeln wie etwa „P.W.“ übereinander angeordnet für „Polen kämpft“.

Die „Sturmgruppe“ wurde direkt für die Unterstützung der „Heimatarmee“ als Hilfsdienst ausge- bildet, hier gab es neben aktiven Kampfeinheiten auch Unterstützungseinheiten wie etwa für den Sanitätsdienst oder den Munitionsnachschub und Gruppen, die zur Informationsbeschaffung und zum Nachrichtentransport ausgebildet wurde - hierzu gehörte beim Warschauer Aufstand 1944 auch Jerzy Grzywacz. Insgesamt, so Grzywacz kämpften beim Warschauer Aufstand an den 63 Kampftagen etwa 40.000 Mitglieder der „Heimatarmee“ - darunter drei Bataillone der „Sturm- gruppe“ der „Grauen Reihen“ gegen etwa 39.000 deutsche Soldaten.

Im Einsatz beim „Warschauer Aufstand“ für mehrere Wochen

Das Ergebnis war erschütternd: Von den Kampfgruppen der „Grauen Reihen“ überlebte fast keiner die Kämpfe und zu den 18.000 Toten bei der „Heimatarmee“ gab es etwa 100.000 Opfer in der Zivilbevölkerung während der Kampfwochen bis Oktober 1944. Er selbst überlebte, da er im September 1944 mit der Familie aus Warschau deportiert und ein Zivilisten-Durchgangslager in Pruszkow gebracht wurde, womit sein Einsatz für die Heimatarmee endete. Nach Kriegsende 1945 kehrte die Familie wieder nach Gdynia zurück. 1980 wurde Jerzy Grzywacz Mitglied in der „Solidarnosc“-Bewegung von Lech Walesa und wohnt heute in Sopot.

Den Neuntklässlern des Wendelsteiner Gymnasiums, die bis zur letzten der gut 90 Minuten absolut still den Ausführungen zugehört hatten, gab er als Zeitzeuge eine deutliche Botschaft als persönliche Reflexion mit für ihre Zukunft: Für ihn ist jeder Krieg ein „Rückschritt für die Bildung und die Menschlichkeit“ als Werte unserer Gesellschaft. „Ich hoffe, Ihr müsst nie in einem Krieg kämpfen, sondern könnt Euch für Frieden und Freundschaft zwischen den Ländern und Völkern einsetzen und stark machen“ wünschte er den Jugendlichen zudem als Botschaft für den weite- ren Lebensweg zum Abschluß seiner Ausführungen. (jör)

 

Foto 1 (jör): Vor den neunten Klassen des Wendelsteiner Gymnasiums hielt Prof. Dr. Jerzy Grzywacz aus Sopot - inzwischen 90 Jahre alt - einen spannenden wie persönlich ein- dringlichen Vortrag über seine Jugendjahre bis Kriegsende 1945 und seinen Einsatz für die polnische „Heimatarmee“ beim „Warschauer Aufstand“ 1944.

Foto 2 (jör): Als Zeitzeugnis und Erinnerungsstück konnte Prof. Grzywacz den Schulklassen eine Armbinde zeigen, wie er sie beim Warschauer Aufstand 1944 ebenfalls trug als Mitglied der „Grauen Reihen“ und im Dienst der „Heimatarmee“. Rechts neben ihm Dr. Gerhard Beuschel, der als Vorsitzender des Kreisverbands Nürnberger Land der „Europa-Union Deutschland“ die aktuellen Vortragstermine in den Gymnasien in Altdorf und Wendelstein mit vorbereitet hatte.