„umgekehrt“ – die beiden Kulturabende im Schuljahr 2017/18

„Die Kunst ist eigensinnig!“ (Ludwig van Beethoven) … und beschreitet häufig alternative oder gerne auch einmal umgekehrte Wege.

Der Richtungs-, Chronologie- und auch Konventionsauflösung verheißende Ansatz der beiden diesjährigen Kulturabende spiegelte sich bereits in deren Titel „umgekehrt“ wider und zog sich per Einladungscover, Rahmenprogramm und Einzelbeiträge konsequent und leitmotivisch durch die Gesamtkonzeption der Veranstaltung, ohne die Zuschauerschaft dabei in ihren gedanklichen Freiheiten und Assoziationswünschen zu beschränken.

Die initiale Einstimmung auf den „umgekehrt“-Abend lieferte der dem Veranstaltungs-Motto gleichlautende Film des Wahlfachs Klettern in Kooperation mit Jonathan Schall, der zunächst vertikale Bewegungsmuster auslotete, um dann den Verbindlichkeiten der Schwerkraft eine eindrückliche Absage zu erteilen und der dabei so ganz ohne Elemente des gesprochenen Wortes auskam.

Sehr wohl der Worte, und dieser auch in ihrer durchwegs richtigen Reihenfolge, bedienten sich Max Dettenthaler und Carolin Betz, die als inzwischen eingespieltes Wendelsteiner Moderatorenteam auch diesmal wieder souverän durch das Programm der beiden Abende führten und das Publikum versiert und zielgerichtet auf das jeweils Kommende einstimmten.

In Doppelfunktion bzw. umgekehrter Rolle eroberten diese beiden „Q11er“ dann sogleich zusammen mit der Rockband unter Leitung von Christoph Heinlein die Bühne und führten das Publikum musikalisch in einen Kulturabend der etwas anderen Art ein.

Als erstes wurde ein stimmgewaltiges Remake des a-ha-Klassikers „Take on me“ aufgetragen und so mancher Zuschauer mag sich bereits an dieser frühen Stelle über die Entdeckung gefreut haben, dass der anagrammhafte Name der norwegischen Band ja sowohl von links nach rechts als eben auch umgekehrt gelesen werden kann. Mit ähnlichen Umkehrungsoptionen spielt der a-ha-Song aus dem Album „Hunting High and Low“ auch auf der Textebene, indem mit den immer wieder in Umkehrung gesetzten Versatzstücken „Take on me“ bzw. „Take me on“ auch inhaltliche Akzente gesetzt werden. Den darauffolgenden Beatles-Song “Don`t let me down” konnten sich die Zuhörer wahlweise als reinen Musikgenuss zu Gemüte führen oder als bereits versiertere Umgekehrt-Denker auch als konzeptionelle Rückanbindung an den Eingangsfilm und ein mögliches Plädoyer der Kletter-AG verstehen. In erneuter Abkehr von der musikgeschichtlichen Chronologie gab die Rockband zudem noch „The Adventures of Rain Dance Maggie“ von den Red Hot Chilli Peppers inklusive der Textpassage „It`s just a turnaround“ und den Rolling-Stones-Klassiker „Satisfaction“ zum Besten.

Danach wurden die Zuschauersinne durch Projektionen zum Thema „Wo bin ich jetzt? Bald gehe ich: Wo war ich eigentlich?!“ angeregt und umgekehrte bzw. veränderte Blickwinkel und Perspektiven bald aus dem gymnasialen Schulleben scheidender Oberstüfler des Kurses Architekturfotografie von Claudia Leder gezeigt. Diese hatten sich Schulhausszenarien und unterrichtlich definierte Räume fotografisch vorgenommen und dem Gebot der konsequenten Umkehrung unterworfen. Dies alles zum Ergebnis sehr spannender visueller Erlebnisse.

Die Klasse 6f konnte das Publikum mit der Inszenierung zweier englischer Sketche sowohl visuell als auch akustisch von ihren vielfältigen schauspielerischen Talenten überzeugen. In „Chinese whispers“ stellten zwei Verliebte im Kinosaal, die einer vorübergehenden räumlichen Trennung zum Opfer gefallen waren, eindrücklich unter Beweis, wie man mit Hilfe alternativer bzw. hartnäckig umgekehrter Kommunikationswege doch noch zum begehrten Ziel kommen kann bzw. in welchen Fällen die Umkehrungspraxis dann eben doch auch gewissen Einschränkungen unterliegt. Der zweite Sketch mit dem Titel „Waiting for the bus”, den die Englischlehrerin Birgit Fuchs mit ihrer Klasse ebenso punktgenau und treffsicher erarbeitet hatte, spielte unter wiederholter Bezugnahme auf das Gedankenexperiment „I`m sitting on an imaginary bench waiting for the bus” überaus erfolgreich mit den Phantasie- und Vorstellungswelten des Publikums und brachte diese durch eine im doppelten Wortsinne “verrückte” Bank schließlich doch noch zum Einsturz bzw. die Kulturabendbesucher/innen zur gedanklichen Umkehr.

Für noch mehr „umgekehrte“ Eindrücke sorgten die Projektionen „Dinge der Kunst“ des Q11er-Kunstadditums von Claudia Leder, die die Zuschauer mit Fokussierung und Pointierung abseits des visuell Gängigen und Gewohnten in ihren Bann zogen.

Bekrönt wurde der Zuschauerraum bei allen Beiträgen des Abends von der Großinstallation einer auf den Kopf gestellten Stadtkulisse, die umgekehrt auf die Besucher herabhing.

Im Profilkurs Foto- und Videografie der Q12 von Werner Bloß war der pointiert und erschreckend unaufhaltsam auf den Alptraum eines jeden Schülers zulaufende Film „Die falsche Ex“ entstanden, der Oberstufenschüler/innen im multifokalen Zeitraffer-Modus zunächst bei ihren täglichen – und wie Vokabeln „rauf und runter“ zu beherrschenden – Schul-, Lern-, Freizeit- und Arbeitsroutinen begleitet. Von einer beinahe philosophischen Warte aus wurde im Film die Frage beleuchtet, was im schulischen (Leistungs-)Bereich möglich wäre, wenn Zeit tatsächlich zurückdreh- und damit auch hinsichtlich ihrer Konsequenzen auf den Schüler/die Schülerin umkehrbar wäre. Äußerst spitzfindig und klug wirkt dabei, dass dieses Experiment eines bösen Schülererwachens ausgerechnet in einer Geschichts-Ex gipfelt, da ja gerade die Geschichte tagtäglich die Unmöglichkeit einer solchen zeitlichen Umkehr beweist.

Mit vielen Eindrücken versehen durften die Gäste der üblichen Chronologie der Kulturabende folgend sodann in eine kurze als „Pause‘“ deklarierte Verarbeitungsphase eintreten, für die die Wahlkurse Catering und Schulimkerei den Angebots- und Versorgungsrahmen bildeten.

Nach ihrer Um- und Rückkehr in die Aula erwartete die Zuschauer ein Beitrag des Wahlfachs Zirkus- und Bewegungskünste unter Leitung von Simona Sommer, dessen Titelankündigung „Metamorphose inverse“ die Wahlkursteilnehmerinnen mehr als nur alle Ehre machten. Die alles andere als flügellahm wirkenden „Schmetterlinge“ eroberten sich die Bühne und den Luftraum der Aula im Handumdrehen und im Rahmen von Flic Flacs, komplexen Akrobatikeinlagen und Hebefiguren schienen die Gesetze der Schwerkraft vorübergehend endgültig aufgehoben. Die titelgebende Rückverpuppung eines Schmetterlings zur Raupe stand im Zentrum einer in jeder Hinsicht intrikaten Choreographie und beeindruckenden Performance der Jungakrobatinnen, die von riesigem Applaus begleitet wurde.

Die Projektionen „Kunst + Essen – Extravagante Gaumenfreuden: Goldene Lilienknospen und giftgrüner Schlangenwein“ des Q11-Profilfachs Zeichnung und Grafik setzten die visuellen Zuschauerfreuden am Umgekehrt-Erlebnis anschließend wiederum im 2D-Format fort und die Percussion-Einlage der Klasse 7c unter Anleitung von Musiklehrerin Johanna Thalhammer lotete schließlich die klanglichen und rhythmischen Möglichkeiten musikalischer Umkehrungsmuster aus.

Weitere Projektionen aus der Rubrik „Was ist Kunst“ Zitate zur Kunst? Experimentelle Bildfindungsprozesse & Kunstzitat“, denen auch das eingangs erwähnte Beethoven-Diktum entstammt, hatten sich dem Umgang mit durchwegs als Denkanstoß dienenden und optisch eindrücklich aufbereiteten Künstlerzitaten verschrieben.

Die Theatergruppe der Unter-/Mittelstufe (Leitung: Julia Wankel) schloss sich dem in seiner Gesamtheit einmal mehr unglaublich facettenreichen Bühnengeschehen mit einem amüsant und sympathisch inszenierten Auszug aus Homers „Odysseus und Polyphem“ an, das ja bekanntermaßen die Umkehr bestehender Macht- bzw. Kraft- und Größenverhältnisse zum Gegenstand hat.

Mit dem klassischen Verkehrungssymbol des „Spieglein, Spieglein,…“ spielte abschließend noch einmal das Wahlfach Klettern in Zusammenarbeit mit dem Wahlfach Kostüme und Kulissen, indem sie Schülerinnen unter Begleitung des Songs „Paparazzi“ in selbstdesignten Kleidern auf den häufig sich nur um sich selbst drehenden Catwalk brachten. Durch das abermalige Auftreten des Wahlfachs Klettern mündete die Veranstaltung somit auch in eine Art Kreisschluss, so dass die Möglichkeit, das Programm, das in jedem Falle eines Rewinds wert gewesen wäre, in absolut stimmiger Gesamtchoreographie auch umgekehrt ablaufen zu lassen, als mehr als nur eine theoretische Option betrachtet werden muss, für die man lediglich die anfängliche Begrüßung durch die Schulleitung an anderer Stelle hätte positionieren müssen.

Schulleiter Johannes Novotný betonte im Rahmen seiner Kurzansprache, dass sich der Zuschauer auf ein buntes und ausdifferenziertes Programm freuen dürfe, das den zahlreichen kulturellen Facetten des Gymnasiums Wendelstein Rechnung trage und das es quasi als Sahnehäubchen einer engagierten und vielwöchigen Probenarbeit zu betrachten gelte. Darüber, dass ein Sahnehäubchen jeweils ganz obenauf sitzen sollte und dieses Grundprinzip kaum jemals eine Umkehrung duldet, herrscht landauf landab weitgehend Einmütigkeit. Was den konzeptionellen Rahmen und vor allem die künftige zeitliche Positionierung der beiden Kulturabende im Schuljahr anbelangt, die im Schuljahr 2012/13 ihre langjährige und erfolgreiche Geschichte als Wendelsteiner Weihnachtskulturabende begonnen hatten, wird es noch einiger innerschulischer Aushandlungsprozesse bedürfen, da im Schuljahr 2017/18 erstmalig und zu Testzwecken eine umgekehrte Reihenfolge im Austausch mit zwei Weihnachtskonzerten ausprobiert wurde.

Was man guten Gewissens und ohne den Ausgang dieser noch völlig entscheidungsoffenen Frage zu kennen, bereits jetzt mit absoluter Sicherheit feststellen kann ist, dass sich alle Beiträge der Künstler, Sportler, Theaterleute und Musiker – die hier problemlos auch in völlig anderer bzw. umgekehrter Reihenfolge angeführt werden könnten – zu einer rundum stimmigen und überzeugenden Kulturmelange zusammengefügt haben.

Organisatorisch und mit viel Liebe zum Detail ins Werk gesetzt wurde die letztliche Programmgestaltung von den Lehrkräften Carolin Reitwießner und Tobias Freund, die – wie stets bei solchen Veranstaltungen – felsenfest und unverbrüchlich auf die breite und zupackende Unterstützung der im Hintergrund agierenden Wahlkurse Technik, des Bühnenumbauteams, der Programm- und Plakatgestalterin Ulrike Schall sowie des Hausmeisters Herbert Brückel bauen durften.

Der Kulturabend unter dem Motto „umgekehrt“ hat seine ohnehin unbestrittene Existenzberechtigung und Strahlkraft im Mai 2018 einmal mehr unter Beweis gestellt und zudem gezeigt, dass das stets erfolgreiche Konzept auch eine umgekehrte Reihenfolge im Schuljahr problemlos gemeistert hat, ohne dabei dem Schicksal eines der gängigen Synonyme des Wortes „umgekehrt“ zum Opfer zu fallen, die da lauten: disparat, inkompatibel, konträr, unverträglich, oppositionell oder am Ende gar unvereinbar oder verkehrt.

Mirjam Müller