Heißes Eis und flammender Schnee –

Michel Bestmanns »Störgeräusche im öffentlichen Raum«

 

»Mir war, als wär ich, und mir war, als hätt´ ich –

aber der Mensch ist nur ein lumpiger Hanswurst,

wenn er sich unterfängt zu sagen, was mir war;

des Menschen Auge hat´s nicht gehört,

des Menschen Ohr hat´s nicht gesehen,

des Menschen Hand kann´s nicht schmecken,

seine Zunge kann´s nicht begreifen

und sein Herz nicht wieder sagen, was mein Traum war.«

Zettel in Shakespeares »Ein Sommernachtstraum«, 4. Aufzug, 1. Szene

 

Es war ein besonderer Abend, den Michel Bestmann einem kleinen Kreis von Oberstufenschülerinnen und -schülern sowie Lehrkräften des Gymnasiums Wendelstein bot. Toni Schmidbauer (Q12) hatte unserer Schule diesen Kontakt hergestellt, nachdem er Bestmanns Performance auf der Langen Nacht der Wissenschaften zum ersten Mal erleben konnte. So fanden sich am Freitag, 27. Oktober ein Gutteil von Claudia Leders W-Seminar (Thema Performance), einige Additums- und Kunstkurs-schülerinnen und -schüler sowie weitere Gäste von Michel Bestmann im Projektraum der BBK-Galerie in Nürnberg-Gostenhof ein und harrten der Dinge, von denen schon rein formal kaum ein Gast sich vorab eine konkrete Vorstellung verschaffen konnte. Es ist ja nicht so, dass einem eine Live-Performance so häufig zuteil wird wie z.B. eine Ausstellung von Bildern.

Was Michel Bestmann zu bieten hatte, sprengte dann bei weitem den Rahmen traditioneller bildender Kunst und löste die Grenzen zu den darstellenden Künsten und der Musik bis zur Unkenntlichkeit auf. Mit einer kurzen Einführung in das Setting erklärte Michel Bestmann zunächst, was er rein technisch vorhatte. Es war wichtig, hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen im Hinblick auf seine Art der Gestaltung. Denn dem Publikum den nackten Rücken zuzuwenden, auf den ein Beamer Formen projiziert, und dabei eigentümliche Musik abzuspielen, ist eine Verkürzung gröbster Art, die den Kern der Sache nicht nur unzureichend, sondern auch völlig verständnisfrei darstellen würde.

Es waren ja nicht irgendwelche Formen und es war auch nicht irgendeine »Musik«, die hier am lebenden Objekt zur Aufführung kam. Nein, Michel Bestmann versetzte sich in die Position des Klang- und Lichtkünstlers in einer Person. In den Händen hielt er die Enden von Audiokabeln. Durch Nähern und Berühren entstanden hier Ladungs- und Leitungsunterschiede, die an einen Verstärker und einen Oszillografen weitergeleitet wurden. Der Verstärker brummte zunächst sonor in seinen netzgegebenen 50 Hertz und entsprechenden Obertönen, reagierte aber empfindlich auf jede Manipulation in Bestmanns Händen. Wer schon einmal das Kabel eines Mikrofons aus dem eingeschalteten und aufgedrehten Verstärker zog, hat eine leise Ahnung vom akustischen Potenzial dieses vermeintlichen Missgeschicks. Zwei riesige Feldboxen übertrugen diese „Störgeräusche im öffentlichen Raum“ auf die Galerie und das lauschende Publikum. Aber es blieb nicht nur bei den erlesen minimalistischen Rhythmen, Riffs und Patterns, die Bestmann allein mit der Bewegung seiner Finger am Metall der Klinken hervorbrachte. Das gleichzeitig im Oszillografen erzeugte Bild wurde – herrlich analog – einfach vom Monitor abgefilmt und an den Beamer weitergegeben. Die von dort auf Bestmanns Rücken übertragenen Bilder entfalteten einen archaischen wie anarchischen Zauber besonderer Art, auf den herkömmliche Begriffe wie „gegenständlich“, „abstrakt“ oder „konkret“ wenn überhaupt, dann nur in einer neuen Mischung zutrafen.

Der Lichtstrich, den ein Oszillograf im Ruhezustand zeigt, zog sich vertikal entlang der Wirbelsäule und setzte sich auf der Wand fort, vor der er saß. Im Grunde war dieser Strich eine konkrete Form, technisch hergestellt und zunächst ohne weiteren Bezug zum sonstigen Setting. Als Bestmann jedoch mit der Bearbeitung der Kabelenden begann, wurde aus der initialen Linie eine Form, mal mathematisch abstrakt – die Umlegung des Kreises auf das Koordinatensystem als Sinuskurve, mal verstörend real – wenn die Kurven sich der Form von Bestmanns Wirbelsäule oder seinen Rippenbögen näherten. Mitunter schienen Flammen wie Geistesblitze aus seiner Schädelkalotte zu zucken, während die Bässe noch an Wand und Decke spürbar blieben. Überhaupt nähert sich das zunächst distanzierte Zusehen und Zuhören des Publikums immer mehr einer allumfassenden sinnlich-körperlichen Partizipation, deren Endergebnis mit den Worten »durchgeföhnt« bis »durchgeschüttelt« auch nur ansatzweise umrissen ist.

Und auch Bestmanns Körper, Dreh- und Angelpunkt der Darbietung, wurde vom ausführenden Subjekt zum bespielten, angestrahlten, scheinbar durchleuchteten Objekt. Wieder verschwammen die Grenzen traditioneller bildender Kunst. Der „Zeichengrund“ agierte, der „Agens“ wurde bespielt. Sowohl die Patterns als auch die technischen Variationen, die das Equipment ermöglichte, feuerten aber noch weit mehr gleichermaßen Zu- wie Anmutung, krachende Poesie und sanftmütige Störungen visueller wie akustischer Wahrnehmungsgewohnheiten. Eine Darstellung in Textform gerät hier gezwungenermaßen an ihre medialen Grenzen. Nach 40 Minuten akustischem Spektakel und spektakulärer Akustik im besten Shakespeare´schen Sinne, nach einem Flow-Erlebnis, das Michel Bestmann sich und seinem Publikum geboten hatte, zog er sich erst einmal zurück, sichtlich erschöpft, sichtlich zufrieden.

Danach startete eine ausführliche Phase der Reflexion und des Austauschs mit dem Künstler. Mit Worten wurde versucht, das Gehörte, Gesehene und Erlebte einigermaßen begreifbar zu machen. Im Anschluss hatte Michel Bestmann sogar noch ein Ohr für die verwandten Projekte unserer Schülerinnen und Schüler im W-Seminar. Es bedanken sich an dieser Stelle, beglückt durch diese seltene Gelegenheit der Anteilnahme die Kunstlehrkräfte …

Claudia Leder und Werner Bloß

 

Videomitschnitt: https://vimeo.com/242281646 [externer Link, VIMEO]

 

Performance, Foto: Marco Fischer
Performance, Foto: Marco Fischer
Portrait Michel Bestmann, Foto Werner Bloß

© alle Bilder: Michel Bestmann

 

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Performance, Foto: Jörg Habermann
Performance, Foto: Jörg Habermann
Performance, Foto: Jörg Habermann
Performance, Foto: Jörg Habermann
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Equipment & Ambiente, Foto: Michel Bestmann
Equipment, Foto: Michel Bestmann