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Gymnasium Wendelstein

In der Gibitzen 29 • 90530 Wendelstein • 09171 81 88 00

Ein Austausch nach Argentinien

Was lange währt, wird endlich gut

Im Februar 2020 besuchte mich und meine Familie Mauro Cabañez, ein junger Argentinier aus Mar Del Plata, einer argentinischen Stadt nahe am Meer. Der Grund: Ein Schüleraustausch, für den ich mich im Herbst 2019 nach nur zwei Monaten Spanischunterricht beworben hatte. Mit noch kaum vorhandenen Spanischkenntnissen nahm ich Mauro gemeinsam mit meiner Familie auf. Doch nach sechs Jahren Deutschunterricht an seiner Schule „Johannes Gutenberg“ sprach Mauro so gutes Deutsch, dass sich alle Sorgen hinsichtlich einer möglichen Sprachbarriere bereits nach wenigen Minuten verflüchtigt hatten.

Im Frühjahr 2020 war der COVID-Virus zwar schon bekannt, aber dass dieser den Austausch so gravierend beeinflussend würde, hatte wohl niemand erwartet. Nach einigen Wochen Unterricht, einem Skiurlaub in Tschechien, vielen Ausflügen in der Region und einem ausführlichen Besuch in Rothenburg ob der Tauber schlossen die Schulen und der erste Lockdown begann. Uns wurde erst jetzt der Ernst der Lage bewusst und nach einem Wochenende in München kam die Meldung, dass der Austausch abgebrochen werden soll, da Argentinien plant, die Grenzen zu schließen. Nach einer angespannten Woche konnten die ca. 20 auf ganz Deutschland verteilten Schüler:innen schließlich mit einem der letzten Regierungsflüge ausreisen und zu ihren Familien zurückkehren. Der eigentlich für drei Monate angesetzte Austausch wurde so auf zwei Monate gekürzt.

Eine schöne Zeit war es trotzdem und die Hoffnung blieb, dass der Gegenaustausch wie geplant im Sommer 2020 stattfinden könnte. Da war die Rechnung aber ohne den Virus gemacht und nach der Hoffnung auf das Jahr 2020 kam die Hoffnung auf 2021. Doch auch diese Pläne wurden von Corona durchkreuzt. Weil Mauro und ich die ganze Zeit über Kontakt gehalten hatten, entstand der Plan, dass ich die Pause zwischen meinem Abitur und dem Studienbeginn nutzen könnte, um den Austausch nachzuholen. Ein „Schüler“-Austausch war dann zwar nicht mehr möglich, da Mauro seine Schullaufbahn bereits abgeschlossen hatte, aber nachdem von vornherein alles direkt privat und ohne Zwischenorganisation geplant war, war das kein echtes Hindernis.

Und, man mag es kaum glauben, am 1. Juli 2022 saß ich tatsächlich in einem Flugzeug nach Argentinien und wurde am Flughafen von Mauros Mutter mit den Worten „Wir haben dich zwei Jahre lang erwartet.“ begrüßt. Die lange Wartezeit mag zwar viele Nachteile gehabt haben, aber sie bot mir auch die Möglichkeit, durch den Spanischunterricht meine Kenntnisse in dieser Sprache zu verbessern. Und da Mauros Eltern nur Spanisch sprechen, konnte ich diese gut gebrauchen.

So lernte ich ein Land kennen, dass voller Gegensätze steckt. Da sind die geographischen Gegensätze, die ich in zwei Reisen entdecken durfte. Zwei Wochen in „Bariloche“ und „San Martín de los Andes“ in Patagonien im Süden Argentiniens zeigten mir die Anden, winterlich verschneite Landschaften, die sich perfekt zum Skifahren eignen, und auf der Autofahrt die unendlichen Weiten eines Landes, dessen Fläche mehr als sieben Mal der Größe Deutschlands entspricht.

Die zweite Reise führte uns nach Iguazú, wo auf der Grenze zwischen Argentinien, Brasilien und Paraguay die gleichnamigen weltberühmten Wasserfälle liegen. Dort, mitten im Regenwald, wo neben den Straßen Schilder vor Pumas warnen, mag man kaum glauben, dass die warmen Temperaturen des tropischen Klimas zum selben Land gehören wie die eisige Kälte der Anden. Und nicht nur die atemberaubenden Wasserfälle, sondern auch die spannenden und fremden Tiere oder überfüllte und hektische Märkte in Paraguay machten den Norden Argentiniens zu einer einzigartigen Erfahrung.

Auch Mar Del Plata ist eine wunderschöne Stadt. Mehr als 45 Kilometer traumhafte Strände, die auch im argentinischen Winter sehenswert sind, kleine Parks voller Palmen und Straßen, die vor Aktivität und Leben zu sirren scheinen, machen die Stadt zu einem einzigartigen Ort, dessen Umgebung mit kleinen „Sierras“ (Hügelketten) und Steilküsten genauso sehenswert ist.

Doch das Land bietet noch weitere Gegensätze: In den Städten liegen Villen „Villas“ (argentinische Slums) und neben riesigen und teuren amerikanischen Pickup- Trucks ziehen Kartonsammler, die sich ihr tägliches Brot mit dem Durchsuchen von Müll verdienen, ihre Karren.

Auch den Menschen, denen es finanziell gut geht (und die Schüler:innen der Gutenberg- Privatschule gehören sicherlich dazu), macht die wirtschaftliche Situation Sorgen. Die Inflation liegt bei ca. 90%, jeden Morgen wird der Kurs des argentinischen Pesos im Fernsehen überprüft und alleine während meiner knapp zweieinhalb Monate in Argentinien gab es drei verschiedene Wirtschaftsminister:innen. Dies führt dazu, dass die gleichen Menschen, die am Nationalfeiertag gerührt die Nationalhymne mitgesungen haben, mir im Anschluss von Plänen berichteten, ihr Land zu verlassen. Kaum ein Gesprächspartner erzählt nicht von der Idee, nach Europa oder in die USA zu ziehen und jeder kennt einen Freund oder Verwandten, der das tatsächlich realisiert hat. Diese Diskrepanz zwischen Nationalstolz und Zweifel an der eigenen Zukunft in Argentinien ist omnipräsent und in gleichem Maße tragisch wie verständlich.

Und trotzdem bin ich in Argentinien auf ein Land getroffen, das voll von freundlichen Menschen ist, in dem auf der Straße Tango getanzt wird und wo sich selbst fremde Gesprächspartner auf der Straße über „den Deutschen“ freuen und begeistert von ihrem Land und ihrem Leben berichten. Auch die Professoren an Mauros Universität haben mich offenherzig empfangen und ich durfte an den Vorlesungen teilnehmen. Und durch die Universität hatte der Urlaub somit doch noch ein bisschen etwas von einem Schüleraustausch.

Zurückgekommen in Deutschland gibt es nun Dinge, die ich mehr genieße als vorher: die Sicherheit, die im Vergleich so guten Straßen und das Gemüse. Es gibt aber auch Sachen, die ich vermisse: das Meer, die Offenherzigkeit und das berühmte argentinische Steak. Ich habe viel gelernt, mein Spanisch verbessert und eine neue Sichtweise auf zahlreiche Dinge entwickelt.

Und den Schüler:innen, die in Zukunft im Spanischunterricht von dem Austausch nach Mar Del Plata hören, möchte ich sagen: Traut euch! Es ist ein Blick über den Tellerrand, vielleicht sogar ein Sprung ins kalte Wasser nötig, aber es ist eine einmalige Möglichkeit, eine unvergessliche Zeit zu haben und gleichzeitig die Spanischkenntnisse zu verbessern.

Wer die Chance hat, am Austausch teilzunehmen, sollte sie also unbedingt nutzen und im Idealfall läuft ja auch alles wie geplant ab.

Anton Hopperdietzel